Ein menschen- und umweltfreundliches Lebensmodell aus Holz, Lehm und Stroh
Das genossenschaftlich organisierte Wohnprojekt entwickelte neue Formen des interkulturellen und generationsübergreifenden gemeinsamen Wohnens, Arbeitens und Lebens auf dem Land für etwa 300 Menschen. Dem Ansatz des Postwachstums folgend, wurden die Häuser in modularer, ökologischer Bauweise errichtet.
Ein menschen- und umweltfreundliches Lebensmodell aus Holz, Lehm und Stroh

Kompakt und günstig
Die Mehrparteienhäuser sind als Holzfachwerkbau gebaut. Im wirtschaftlichen Raster von 4,75 Meter sind Wohnungstypen von 30 bis 150 Quadratmeter aneinander gereiht. Die kompakte Bauweise mit wenig Außenfläche senkt die Baukosten und den Energieverbrauch, der über ein genossenschaftseigenes Nahwärmenetz gedeckt wird. Große Glasflächen zur Sonne generieren im Winter Wärmegewinne; gleichzeitig begrenzen vorgestellte Laubengänge den Wärmeeintrag bei hoch stehender Sonne.

Interview mit Frank Gutzeit
Der Architekt von Hitzacker Dorf eG über das Bauen mit ökologischen Baustoffen: Vorteile im Bezug auf den sommerlichen Wärmeschutz, Herausforderungen und Tipps für Nachahmende.

Transkription des Interviews mit Frank Gutzeit, Architekt des Hitzacker Dorf im Gespräch mit Maren Kaiser, FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V.
Maren Kaiser (MK): Das interkulturelle Generationendorf Hitzacker hat sich durch und durch der Ökologie verschrieben. Es verbindet Baubiologie und Ressourcen schonendes Bauen und Wohnen mit einem nachhaltigen Lebensstil, der sich an den Regeln des Postwachstums und einem suffizienten Konsumverhalten orientiert. Die konsequent ökologische Bauweise ist beeindruckend;
Frank Gutzeit, wie verhält es sich mit dem sommerlichen Wärmeschutz in Bezug auf verwendete Baustoffe im Projekt und gibt es Vorteile, neben der Ressourcenschonung, gegenüber konventionellen Baustoffen?
Frank Gutzeit (FG): Ja, vielen Dank für die Anfrage. Wir haben tatsächlich hauptsächlich ökologische Baustoffe verwendet im Projekt Hitzacker Dorf. Die Aufgabenstellung bestand ja darin, den ökologischen Fußabdruck möglichst gering zu halten. Im Bezug auf den sommerlichen Wärmeschutz haben wir die Besonderheit, dass wir durch große Glasflächen einen hohen Sonnenertrag in der Übergangszeit und im Winter haben, was aber natürlich zu erheblichen Wärmeeinträgen im Sommer führt. Insofern war es uns sehr wichtig, die Baustoffauswahl so zu treffen, dass wir dem entgegenwirken. Also natürlich sind auch weitere Sonnenschutzmaßnahmen erforderlich, wie Beschattung, Folien und Vorhänge. Aber bei den Baustoffen geht es dann im Wesentlichen um die Speicherfähigkeit im direkten Tageszusammenhang, also nicht zu sehr über die Monate oder Jahre gesehen, sondern wirklich den Tagesverlauf. Das heißt, dass sich Wärme, die sich den Tag über ergibt, „weggespeichert“ wird, indem sie von den Baustoffen aufgenommen wird. Und hier kann man als herausragend Lehm anführen. Er ist gegenüber konventionellen Baustoffen mit vergleichbarer baulicher Dichte – die Dichte ist ja immer das entscheidende Kriterium bei der Wärmespeicherung. Aber wenn ich das beispielsweise mit Beton vergleiche, kann der Lehm sehr viel schneller die Wärme speichern und er hat auch ein sehr viel höheres Feuchte-Speichervermögen. Das führt gleichzeitig auch dazu, dass die Hitze nicht so stark durchschlägt. Als zweiten Baustoff kann man das Holz nennen, das wird häufig vernachlässigt, aber auch Holz kann bis in eine Tiefe von 4-5 Zentimetern sehr gut Wärme wegspeichern. Und auch hier ist eine deutliche Überlegenheit gegenüber konventionellen Baustoffen erkennbar. Also wenn wir über Vinylplatten sprechen, die heutzutage ja gern genommen werden und eigentlich nichts anderes als PVC sind, heizen sie sich extrem auf. Das kann jeder ganz einfach selbst testen: wenn ich barfuß über den Holzfußboden gehe, der der Sonne ausgesetzt ist, dann ist der Holzfußboden sehr viel kühler als ein PVC-Fußbodenbelag, der der Sonne ausgesetzt ist. Eine weitere Besonderheit in Hitzacker Dorf sind die sogenannten Strohbauplatten. Stroh als Baustoff hat ja eine sehr lange Tradition, war aber in den letzten 100 Jahre eher unbedeutend und erobert sich gerade wieder einen Platz. Wir haben sehr stark gepresste Strohbauplatten verwendet, bei denen davon ausgehen, dass die ein sehr gutes Wärmespeichervermögen haben. Diese sind aber sehr neu am Markt und daher gibt es noch nicht viele Erfahrungswerte und wir sind sehr gespannt, wie sich das Ganze entwickelt im Laufe der nächsten Jahre.
MK: Das heißt, Sie eruieren dann die Erfahrungswerte der Bewohnerinnen und Bewohner?
FG: Ja, wir sind ständig im Austausch und Kontakt. Wir kriegen auch Rückmeldungen aus Projekten die zum Teil nicht so gut sind, das heißt, es ist deutlich spürbar, dass, wenn man große Glasflächen einbaut, was ja eigentlich sehr schön ist und auch sinnvoll, dass dann tatsächlich viele Maßnahmen erforderlich sind, um im Sommer erträgliche Temperaturen im Inneren zu halten. Technische Kühlung ist ja häufig dann die Antwort und es werden Klimaanlagen eingebaut. Wir versuchen aber eher mit Verschattung der Glasflächen zu arbeiten, um ohne technische Einrichtungen auszukommen.
MK: Und nochmal zurück zu den Baustoffen. Was würden Sie denn sagen, welche Herausforderungen bringt das Bauen mit ökologischen Baustoffen mit sich?
FG: Also wir stellen fest, dass das ökologische Bauen schon eine eigene Sparte ist. Wenn man ökologisch bauen möchte ist es sehr wichtig, frühzeitig auch die entsprechenden Firmen zu finden, die sich mit den Baustoffen auskennen. Wir merken deutlich, dass im konventionellen Baubereich wenig Bereitschaft besteht, sich auf Neues einzulassen. Und zwar gar nicht so sehr auf der Leitungsebene, sondern wirklich bei den Ausführenden, den Handwerkern, die das Material nachher verarbeiten, die einfach auf das Gewohnte zurückgreifen wollen. Wir haben erheblichen Aufwand damit, den Gesellen, den Handwerkern auf der Baustelle zu vermitteln, dass das ein tolles Material ist. Also ich nenne mal ein Beispiel, die Weichfaserplatten, die wir zum Beispiel bei einer Außenwanddämmung statt der konventionellen Styropor- oder Mineralfaserdämmung verwenden. Da geht es eben darum, dass neue Maschinen angeschafft werden müssen, die Arbeit mit den Maschinen muss erlernt werden und das heißt dann zu Anfang immer: das kennen wir nicht, das können wir nicht. Und wenn man das ganze aber gut begleitet, dann führt das zumindest bei vielen dazu, dass sie nach einem solchen Projekt dann auch stolz sind, dass sie eben auch mal in der ökologischen Bauweise unterwegs waren. Das trifft sich für alle zu, aber doch für sehr viele. Aber es ist ein zusätzlicher Aufwand, auch im planerischen Bereich. Und es gibt noch eine vorteilhafte Entwicklung: vor etwa 5 bis 10 Jahren hatten wir noch eine deutliche Preisdifferenz zwischen ökologischen und konventionellen Baustoffen. Wir haben durch die Krisen der letzten Jahre eine erhebliche Preissteigerung im konventionellen Bereich erlebt, aber bei den nachwachsenden Baustoffen nicht so sehr, sodass sich diese Preisdifferenz deutlich verringert hat. Ich kann wirklich guten Gewissens sagen, dass ökologisches Bauen nicht mehr sehr viel teurer ist als das konventionelle Bauen.
MK: Haben Sie denn einen Ratschlag, den Sie gerne Projekten in der Startphase mitgeben wollen, die mit ökologischen Baustoffen bauen möchten?
FG: Ja, ich würde jedem empfehlen, bevor er/sie ein Haus baut, das Raumklima in einem konventionellen Haus zu vergleichen mit dem Raumklima in einem ökologischen Haus. Also wir sind zum Beispiel in Hitzacker Dorf auch bereit, da Besucher zu empfangen, um einfach mal gerade auch an einem heißen Sommertag den Unterschied zu spüren, wenn ich eben offenporige, atmungsaktive Materialien um mich herum habe, im Gegensatz zu diesem abgekapselten Kunststoffmaterialien. Dann muss jeder selbst entscheiden. Aber das sollte man auf jeden Fall nicht versäumen, bevor man das viele Geld ausgibt, was dann ja auch für lange Zeit gebunden ist. Es ist in der Regel so, dass man am Anfang eines Projektes eher mehr Zeit hat und da ist meine Empfehlung, sich genau diesen Themen wirklich zu widmen, weil es im späteren Projektverlauf zum einen manchmal einfach zu spät ist, um noch technische Weichen zu stellen, zum anderen aber auch die Fülle an Entscheidungen, die getroffen werden müssen, so groß ist, dass man leicht Dinge aus den Augen verliert. Am Anfang die richtigen Weichen zu stellen ist ein absolutes Muss beim Bauen.
MK: Vielen Dank Frank Gutzeit für ihr Wissen.