Kühle Konzepte

Transformation bauen

CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Nach dem Selbstverständnis der Bauherrin TRNSFRM eG als gemeinwohlorientierte Bauträgerin kann heutzutage nur noch sozial sein, was ressourcensparsam ist und sich klimapositiv auswirkt. Entsprechend stand bei der Planung des seit 2015 auf dem ehemaligen Areal der Kindl-Brauerei entwickelten Wohnprojekts mit Co-Working-Space (Ort des gemeinsamen Arbeitens) das Thema Zirkulär Bauen im Mittelpunkt.

Transformation bauen

Foto © Andreas Trogisch
Abbildung: Fassade des fünfstöckigen CRCLR-House in Berlin-Neukölln. Der untere Teil besteht aus einem zweigeschossigen historischen Bestandsgebäude, darüber befinden sich Aufbauten, die nach den Prinzipien des zirkulären Bauens entstanden sind.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Ein erster Schritt vom Wissen zum Tun

Die Gründe für die von Vielen als erforderlich erachtete Bauwende sind bekannt. Das motiviert – aber was wissen wir wirklich darüber, wie wir es tun sollten? Das CRCLR-House in Berlin-Neukölln ist eine gebaute Antwort auf diese Frage. Ein Experiment, ein Schritt „vom Wissen zum Tun“.

Grundsätze zum Herunterladen
Abbildung: Elf Grundsätze des CRCLR-House zum ressourcensparenden Bauen.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Bauwende in der Praxis

Am Anfang stand die Entscheidung, die vorhandene zweigeschossige Industriearchitektur nicht abzureißen, sondern umzubauen und um drei Geschosse zu erweitern. Das folgt dem Grundsatz: weiterverwenden.

Besonders in den beiden gewerblich genutzten Bestandsgeschossen wurden beim Innenausbau viele gebrauchte Materialien und Bauteile verbaut. Das folgte dem zweiten Grundsatz: wiederverwenden.

Bei der Aufstockung ging es schwerpunktmäßig um die zukünftige Wiederverwendbarkeit, um also bei zukünftigen, noch unbekannten Bauaufgaben als Materialressource zur Verfügung zu stehen: wiederverwendbar planen.

Zeichnung zum Herunterladen
Abbildung: Grafik einzelner Bestandteile des CRCLR-Houses.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Ein Haus aus Holz und Stroh

Auch Kohlenstoffdioxid (CO₂) ist Müll. Alle klimawirksamen Gase sind letztlich unkontrollierbare Abfallprodukte. Beim Bau des CRCLR House wurde konsequent auch diese Form von Müll vermieden.

So bindet die Aufstockung – solange sie besteht – aufgrund ihrer strikten Materialbeschränkung auf nachwachsende Rohstoffe ca. 150 Tonnen CO₂. Ein Neubau hätte mindestens 600 Tonnen CO₂ emittiert, die so der Umwelt erspart wurden.

Abbildung: Blick aus dem Rohbau der Aufstockung des CRCLR-Hauses. Innen gibt es eine Holzvertäfelung, die Fassade besteht aus nachwachsenden Rohstoffen. Außen vor der Fassade steht ein Baugerüst.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Rezyklierte Baustoffe – Urban Mining („Bergbau in der Stadt“)

Fast alle Fenster in der Aufstockung bekommen im CRCLR-House ein zweites Leben. Zu den gebrauchten Bauteilen wurden zum Teil auch Abfälle gezählt. So entstanden zum Beispiel fünf hoch-wärmegedämmte Hauseingangstüren aus den Resten anderer Baustellen.

Abbildung: In einem Werkraum wird eine gebrauchte Tür aufgearbeitet und gedämmt, um sie für das CRCLR-House zu verwenden.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Das Prinzip Schrauben
statt Kleben

Um Bauteile des CRCLR-House künftig für andere Aufgaben wiederverwenden zu können, wurden Materialien und Bauteile demontierbar geplant und gebaut.

Beispielhaft dafür ist der Dachaufbau: bei der c2c-zertifizierten Folie sind nur die Bahnen miteinander, aber nicht mit der Holzkonstruktion darunter verschweißt, sondern mechanisch befestigt.

Diese Abdichtung kann in Zukunft zusammengerollt und an anderem Ort wiederverwendet werden.

Abbildung: Querschnitt des Dachaufbaus des CRCLR-House.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Gemeinschaftlich wohnen

Die vom Wohnprojekt Campus Cosmopolis bezogenen Wohnflächen sind überwiegend in Wohnungs-Clustern organisiert: Knapp geschnittene Wohnungen bilden zusammen mit großzügigen Gemeinschaftsflächen, wie z.B. Gästezimmer, Waschküche, Fahrradabstellraum oder großem Bad, Wohneinheiten von bis zu 400 Quadratmetern.

Grundriss zum Herunterladen
Abbildung: Grundriss der vom Wohnprojekt Campus Cosmopolis bezogenen Wohnflächen, die überwiegend in Wohnungs-Clustern organisiert sind.
CRCLR-House, Berlin-Neukölln

Interview mit Christian Schöningh

Der Architekt des CRCLR-House erzählt vom Neuland des zirkulären Bauens, auch aus Bauherren-, Steuerungs- und Projektentwicklungssicht. Vom unterstützungsfreudigen Bezirksamt, visionären Zielen und der Wichtigkeit eines funktionierenden Planungsteams.

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© Silvia Carpaneto
Abbildung: Portrait von Christian Schöningh, Architekt des CRCLR-Houses

Transkription des Interviews mit Christian Schöningh, Architekt des CRCLR-House im Gespräch mit Maren Kaiser, FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V.

Maren Kaiser (MK): Das CRCLR House in Berlin ist die praktische Umsetzung der Theorie des Zirkulären Bauens. Bisher gibt es wahrscheinlich kein anderes Projekt dieser Größenordnung, deutschlandweit, europaweit, das so konsequent das zirkuläre Bauen erprobt hat. Der Entstehungsprozess des CRCLR House, das Wohnen, Arbeiten und gemeinschaftliches Leben beinhaltet, läuft seit 2015 und seitdem wird mit Pioniergeist ausprobiert, gescheitert und gelernt. Herr Schöning, können Sie einmal kurz in den Entstehungsprozess skizzieren?

Christian Schöningh (CS): Sie haben ja schon den Zeitraum genannt: 2015 bis zur Fertigstellung 2023 sind immerhin 8 Jahre. Und der Entstehungsprozess ist geprägt von einer Gruppe von recht jungen Leuten, die ganz in der Nähe eine Betreiberimmobilie hatten, also ein kleines, altes gründerzeitliches Hinterhaus und Fabrikgebäude, fünf-geschossig, wo sie etwas Ähnliches auf die Beine gestellt haben wie das CRCLR-House heute sich darstellt. Betreiberimmobilie heißt, die vermieten nicht einfach nur, sondern sie kümmern sich auch um Inhalte. Sie kuratieren das Haus also: sie suchen gezielt Nutzer aus, die zu einem bestimmten Profil passen, das dem Haus gegeben wird. Und das war beim CRCLR-House, also zu Zeiten dieser Initiative, die zirkuläre Kreislaufwirtschaft. Und um das jetzt nicht zu sehr auszudehnen, mache ich einen kurzen Schwenk. Wir haben dann die Bauherrengesellschaft gegründet, die TRNSFRM eG, die diesen planungs- und bauunerfahrenen Leuten diese Aufgabe treuhänderisch abgenommen hat oder angeboten hat: wir machen das für euch, wir hören euch zu, was braucht ihr, was habt ihr euch vorstellt,  und wir übersetzen das mit einer gewissen Professionalität, aus den Erfahrungen vorangegangener Projekte und setzen das für euch um. Und dann haben wir im nächsten Schritt auch gemeinsam gesagt, es kann natürlich nicht sein, dass das zirkuläre Wirtschaften bzw. Leben in dem Haus eine Rolle spielt und das Haus selbst das nicht widerspiegelt. Und deswegen hat die TRNSFRM eG sich auch über dieses Projekt hinaus das Ziel formuliert, zirkulär zu bauen. Das wird auch für weitere Projekte der TRNSFRM eG gelten.

MK: Und was würden Sie sagen, sind so die besonderen Herausforderungen, wenn man zirkulär bauen möchte?

CS: Also ich würde mal sagen, das wirklich herausfordernde war, dass es Neuland ist. Egal wohin man guckt. Also ich habe dieses Projekt hier sowohl aus der Bauherrenperspektive, als auch dann später aus der Planerperspektive bearbeitet und kann es auch rückblickend beurteilen. Und ich würde mal sagen, gerade bei der Bauherrenaufgabe kommen ganz viele Herausforderungen auf einen zu, weil das ganze Umfeld ja überhaupt nicht darauf vorbereitet ist. Also der Begriff „zirkuläres Bauen“ ist zwar im Augenblick in vieler Munde. Aber wirklich wissen, was das ist, das tut noch niemand. Also wir selbst auch nicht. Als wir angefangen haben schon mal gar nicht und auch jetzt behaupten wir nicht, dass wir wissen, wie das geht und so muss man das machen. Die Herausforderung ist, dass man eigentlich wie auf Eis geht. Und die Entscheidungen, die im Laufe eines solchen Planungs- und Bauprozesses getroffen werden müssen, bauen ja meistens aufeinander auf und haben miteinander zu tun. Und gerade die Entscheidungen am Anfang sind für die Ausrichtung des Projektes bzw. wo man am Ende landet, wirklich enorm wichtig. Wenn man dann auf einem Terrain unterwegs ist, wo man sich nicht auskennt und nur so ein verbal beschriebenes Ziel formuliert hat, dann ist es eine Herausforderung, gerade am Anfang, die richtigen Entscheidungen zu treffen. 

MK: Wenn sie da im Rückblick beispielsweise an die Kommunen denken, also an Unterstützungsmöglichkeiten: was können Kommunen dazu beitragen, damit Projekte wie das CRCLR-House gelingen kann?

CS: Ich würde sagen, da gibt es zwei Ebenen. Einmal wirklich das, was in unserem Projekt stattgefunden hat. Also wenn ich darf, möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Stadtentwicklung/ Bauaufsicht meinen Dank auszusprechen und eine Anerkennung dafür, wie dieses Projekt dort behandelt wurde. Natürlich geht es darum, dass Dinge genehmigt werden, die vielleicht auch außergewöhnlich sind. Wobei die Spielräume da natürlich eng sind, und zwar nicht nur für die Genehmigungsbehörde, auch für alle Beteiligten, für die Planer und die Bauherren. Also vom Amt zu verlangen, dass gegen die Bauordnung irgendwas genehmigt wird, das will und kann niemand. Das kann auch niemand wollen. Aber ein Beispiel: wir sind gut und schnell bedient worden mit einer Baugenehmigung. Das ist herausragend gewesen. Und ein Detail: wir haben mit unserer Bauweise, die zur anderthalb Meter höherer Oberkante des Gebäudes geführt hat, tatsächlich die Ausnahme vom Bebauungsplan, der die Oberkante festgelegt hatte, begründet. Und da mussten wir nicht drumherum reden, sondern das ist durchaus üblich, dass man bei solchen Anträgen auf Befreiung oder Ausnahme, dass man Wortklauseln nimmt, bei denen man weiß, das geht gut. Wir haben einfach gesagt, wir wollen Fenster wiederverwenden, die sind 2,60 m hoch. Daraus ergibt sich eine Geschosshöhe, die ist so und so hoch mal drei, gibt einen Meter. Beim Dach haben wir uns noch etwas Besonderes überlegt, um da nicht mit Folien arbeiten zu müssen -das brachte noch mal einen halben Meter Höhe, so dass wir 1,50 m Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe hatten. Letztendlich wurde diese Überschreitung mit ökologischen Begründungen genehmigt. Das finde ich bemerkenswert, habe ich so noch nicht erlebt. Und dann gibt es noch die andere Ebene. Ich weiß zum Beispiel von Friedrichshain, Kreuzberg, das Bezirksamt arbeitet da gerade dran, Abriss zu erschweren oder teuer zu machen, um bestehende Bausubstanz zu erhalten. Umzunutzen ist eigentlich Paragraph 1 des zirkulären Bauens. Es ist nicht das Wiederverwenden, es ist das Weiterverwenden, das noch viel ressourcenschonender ist als jegliche Wiederverwendung oder Recycling. Da können die Kommunen, in dem sie Abrissanträge etwas restriktiver behandeln und vielleicht auch wirklich sachlich fachlich hinterfragen: „was machen die denn da, warum wollen die graue Energie vernichten?“ Aber das ist ein weites Feld, aber da kann dem Gedanken des zirkulären Bauens mit Sicherheit geholfen werden. Ob das Thema in Bebauungsplänen auch Einzug finden kann, das weiß ich nicht. Das ist mit Sicherheit ein ganz dickes Brett. Für die Kommunen gilt im Grunde das gleiche wie für Bauherren, Planer oder auch Firmen. Es gibt bestimmte Aspekte, da sollten wir es einfach mal machen. Einfach mal ausprobieren, damit Erfahrungen sammeln und gucken, wie man diesen Gedanken weiterentwickeln kann.

MK: Ja, das braucht also Verständnis. Das CRCLR-House behandelt so viele Themen. Wenn sie sich für eines entscheiden müssten, was würden sie einem Projekt, das vorhat, in zirkulärer Bauweise zu bauen, vor allem raten?

CS: Da steht für mich Bedarfsgerechtigkeit vorne an, was vielleicht gar nicht vordergründig so zirkulär erscheint. Zirkulär bauen ist kein Selbstzweck, es geht darum, sparsam mit Ressourcen umzugehen. Und es gibt keine größere Verschwendung, als am Bedarf vorbei zu planen und zu bauen. Das nächste ist: nutzungsoffene Gebäude. Auch das bedient wieder einen Aspekt des Zirkulären Bauens, der einem vielleicht nicht als allererstes in den Sinn kommt, aber auf den Lebenszyklus betrachtet natürlich wahnsinnig wichtig ist. Dass die Gebäude nicht nur für das, was einem jetzt zur Zeit vorschwebt, funktionieren, sondern auch eine zweite oder dritte Nutzungs- oder Lebensphase zu ermöglichen. Das heißt Gebäude müssen nutzungsoffen geplant werden. Und das nächste – nochmal mit dem Rückgriff auf den Punkt, dass es ja kein Selbstzweck ist, sondern letztendlich um ressourcensparsames Bauen geht – oder es geht ja um gebaute Umwelt, das sind ja auch nicht nur nicht einfach nur einzelne Häuser, sondern man muss es ja auch wirklich im Gesamtkontext sehen. Und da sind die Parameter, die für das Planen und Bauen gelten, die sind eigentlich sehr technisch. Ich sage nur mal einen Begriff: der Energiebedarf eines Gebäudes wird pro qm gerechnet und nachgewiesen und ist limitiert pro qm Wohnfläche, was insofern vollkommen unsinnig ist, weil es letztendlich darauf ankommt (in der Bilanz) wie viel Energie und am Ende dann Co2 Äquivalente ein Mensch verursacht. Also es geht eigentlich um den Fußabdruck des Menschen. D.h. eine gewisse Nutzungsdichte muss in den Häusern vorgesehen werden. Und jetzt vielleicht noch etwas, was so etwas wie ein Rat ist: 

Ich hatte eingangs schon gesagt, dass man sich ein bisschen wie auf einer Eisfläche fühlt und ein bisschen unsicher unterwegs ist. Man muss wahnsinnig aufpassen, sich nicht von sogenannten Sachzwängen ablenken zu lassen. Man muss das Ziel ganz klar definieren. Da reicht es nicht, dem Planungsteam zu sagen: ich will zirkulär bauen. Sondern man muss sich das wirklich gemeinsam erarbeitet: was bedeutet das in unserem Projekt? Was könnte das bedeuten? Und diese Agenda ganz strikt verfolgen, über Jahre und bei jeder Entscheidung, die getroffen wird, immer wieder kritisch hinterfragen: gefährde ich damit meine Ziele? Und um das in einem einigermaßen geschmeidigen Prozess hinzukriegen, ist es wahnsinnig wichtig, dass das Planungsteam gut funktioniert. Man kann  wird bei solch relativ ehrgeizigen Programmen das Ziel nicht erreichen, wenn da nicht wirklich alle Hand in Hand arbeiten. Und das ist letztendlich auch eine Aufgabe des Projektsteuerers/des Bauherrn, dieses Team zu steuern und für ein gutes Miteinander im Planungsprozess zu sorgen.

MK: Vielleicht auch noch mehr als im normalen Baum.

CS: Man kann eigentlich die Aufgaben nicht einfach delegieren und sagen „du machst, du machst das“. Weil doch einige Ansätze so anders sind, dass man immer rückkoppeln muss, also jegliche Materialentscheidung oder Bauweise ist am Ende mit dem Brandschutzprüfer rückzukoppeln.

MK: Dann danke ich ihnen vielmals für ihre Einschätzung und die Weitergabe von ihrem Wissen.

Ein Haus aus Müll. Bauen für eine saubere Zukunft

Klimafreundlich bauen im großen Stil

Ein Filmteam hat den Prozess des CRCLR-House für Arte über knapp drei Jahre begleitet und bis kurz vor der Fertigstellung dokumentiert.

Berichterstatterin (00:10):
Alice Gedamu hat eine große Vision. Sie will die Baubranche revolutionieren. Dafür plant sie ein Haus aus Abfall.

Alice Gedamu (00:18):
Das Haus steht für die Vision von einer müllfreien Gesellschaft. Was wir viel sehen, ist, dass die Rohstoffe verwendet werden und immer schneller, immer schneller eigentlich zu Müll werden. Und wir wollen dieses Konzept Müll ad acta legen.

Berichterstatterin (00:31):
Alice will beweisen, dass man bauen kann, ohne Rohstoffe zu verschwenden und stattdessen gebrauchte Baustoffe verwendet. Gemeinsam mit Simon Lee will sie einen Prototypen bauen.

Simon Lee (00:41):
Also müssen wir das umsetzen, was wir predigen und suchen Wege, um diesen Ort zu gestalten.

Berichterstatterin (00:47):
Ein Riesenprojekt. Es geht um einen zweistelligen Millionenbetrag.

Simon Lee (00:52):
Ein stinknormales Haus zu bauen, warum soll ich das tun? Das war nicht auf meiner Agenda. Aber an einem großen Experiment mitzuwirken, mit all den positiven Auswirkungen, die wir uns erhoffen, ein Tun zu erreichen, das ist natürlich mega spannend und auch erfüllend.

Berichterstatterin (01:09):
Ist es möglich, im großen Stil klimafreundlich zu bauen?

Berichterstatterin (01:26):
Berlin, im Sommer 2018. In Neukölln soll die Fassladehalle der ehemaligen Kindl-Brauerei aufgestockt werden mit recycelten Baustoffen und Materialien, die später weiterverwendet werden können. Die Bauherren Alice Gedamu, Simon Lee und Laurence Pagni. Alice hat vorher bei einem großen Müllkonzern gearbeitet und Simon im Finanzwesen. Die Baubranche – Neuland.

Alice Gedamu (02:06):
Jetzt geht’s bald los und keiner von uns hat jemals in seinem Leben gebaut. Und das ist schon echt krass. Ich weiß nicht wie es dir geht, Simon. Aber mir geht der Arsch schon manchmal auf Grundeis. Wir wollen das auch noch zirkulär machen, wo alle Architekten uns angucken und sagen: Was? Wie genau wollt ihr das machen?

Simon Lee (02:28):
Womit ich mich beruhige ist, wenn man durch die Stadt läuft, überall stehen Häuser. Das heißt, wir sind nicht die ersten, die gerade ein Haus bauen.

Berichterstatterin (02:35):
Ökologische Bauweisen sind teuer. Gebrauchte Materialien zu verwenden, könnte Kosten sparen.

Laurence Pagni (02:44):
Es gibt auch finanzielle Vorteile, diese Materialien zu benutzen, wie zum Beispiel recycelter Beton. Es ist günstiger.

Simon Lee (02:55):
Das ist eine Hypothese, die wir noch beweisen müssen.

Berichterstatterin (02:59):
Alice, Simon und Laurence gründen ein Unternehmen für abfallfreies Wirtschaften. Bisher werden Häuser abgerissen und weggeworfen, weil ein Neubau billiger ist, obwohl die meisten Baustoffe jahrhundertelang halten würden. Die Fassladehalle konnten Alice und Simon mit der Hilfe einer Stiftung retten.

Alice Gedamu (03:20):
Wenn wir es schaffen, dass das Haus einfach ein Prototyp dafür ist, zu zeigen, man kann günstig so bauen, dass man eigentlich Müll reduziert. Das wäre halt der Wahnsinn. Irgendwie kann das Haus der Zukunft nicht eigentlich der Müll der Zukunft sein, sondern eben das Materiallager der Zukunft?

Berichterstatterin (03:39):
Hier sollen Wohnungen und Gewerberäume entstehen, ökologisch und günstig.

Alice Gedamu (03:45)
Ich bin fest davon überzeugt, dass es andere Formen des Zusammenwirtschaften, Zusammenlebens gibt, und zwar Formen, wo die Wirtschaft einen positiven Fußabdruck in der Welt hat.

Berichterstatterin (03:57):
Alice gewinnt immer mehr Anhänger für die Idee. Die Vorstellung, dass Ressourcen in Kreisläufen erhalten bleiben, begeistert Sponsoren und Unterstützer.

Alice Gedamu (Übersetzung) (04:13):
Lass uns Freitag einen Kaffee trinken mit ein bisschen Zeit. Ich freue mich mehr zu hören. Bis dann.

Berichterstatterin (04:18):
Bis zum Baubeginn veranstalten Simon und Alice Vorträge zu Nachhaltigkeitsthemen, auch um die laufenden Kosten zu finanzieren.

Alice Gedamu (04:28):
Lass mal nach vorne laufen. Gerne mit zwei Händen.

Simon Lee (04:37):
Hier ist meine Rede.

Alice Gedamu (04:39):
Hier ist meine.

Alice Gedamu (Übersetzung) (04:45):
Wenn die meisten Menschen an Abfälle und Deponien denken, dann denken sie, dass Abfall eklig ist. Wenn wir aber an Abfall denken, dann denken wir an verpasste Chancen. Und Veranstaltungen wie heute zeigen uns, dass wir damit nicht alleine sind.

Berichterstatterin (05:08):
Der Plan: In zehn Monaten soll hier ein mehrstöckiges Wohn- und Arbeitshaus entstehen. 2019: der Rückbau beginnt. Aus dem Veranstaltungsraum wird eine Lagerhalle. Was hier liegt, wird normalerweise weggeworfen. Insgesamt ist die Baubranche für über 50 Prozent der Abfälle verantwortlich. Für die Jungunternehmer beginnt jetzt der Zeitdruck. Jeder Tag ohne Veranstaltung bringt ein Minus auf dem Konto. Die Architektin Nathalie Sword und Alice Gedamu überlegen, wie sie die Abfälle weiterverwenden können.

Alice Gedamu (05:43):
Das klingt ein Stück weit schon so, als wäre das auch eine neue Ära des Bauens. Also wirklich ein komplett neuer Ansatz, der vielleicht auch eine neue Ästhetik mit sich bringt. Ziemlich neue Prozesse.

Nathalie Sword (05:57):
Also es ist auf jeden Fall heute in diesen Kontexten ein absolut neuer Gedanke. Wie du schon sagst, allein schon dieses Erfassen von Materialien in der Stadt. Wir sagen immer, das ist wie so eine Art Materialbank, die eigentlich so über der Stadt liegen sollte.

Alice Gedamu (06:11):
Weißt du, was der Stand mit diesem Material ist? Also das Material haben wir hier in dem Haus bestimmt schon zehn Mal von einer Seite zur nächsten getragen und wir haben es nie weggeworfen oder entsorgt. Aber wir wussten auch nie genau, warum wir das eigentlich tun. Hat sich das gelohnt, dass wir das aufbewahrt haben?

Nathalie Sword (06:30):
Also für uns nicht.

Berichterstatterin (06:31):
Nicht alles lässt sich weiterverwenden, auch weil sich Baubestimmungen im Laufe der Jahre geändert haben. Ein paar Monate später wird das Dach abgenommen. Die alten Stahlträger und auch Teile vom Holz sollen später noch verwendet werden. Ab jetzt heißt es Zeit ist Geld.

Simon Lee (06:59):
So, hier haben wir schon mal mit dem Erdbau angefangen.

Berichterstatterin (07:02):
Jetzt kommt der Praxistest für die Vordenker.

Alice Gedamu (07:06):
Ist echt krass, oder? Wer hätte das gedacht, dass wir hier mal jetzt echt die Bagger und so sehen? Wie fühlt sich das für dich an?

Simon Lee (07:16):
Ich habe jetzt Respekt vor jedem Haus, was steht, was da alles dranhängt von Schallschutz und Brandschutz und Statiker und dieser Ingenieur und jener Prüfingenieur. Das ist echt Wahnsinn.

Alice Gedamu (07:27):
Das heißt, dieser Transfer in die Praxis von Papier zu echten Backsteinen ist dann der, der auch herausfordernd ist, oder? Wo man halt sieht, ob eine Idee sich bewährt oder nicht.

Simon Lee (07:40):
Genau, wenn man etwas zirkulär bauen will, braucht man die Ressourcen, man braucht mehr Zeit. Es ist alles komplizierter. Man braucht mehr Geld und das haben wir auch nicht.

Berichterstatterin (07:47):
Ungeahnt tauchen Hindernisse auf. Eine Betonplatte muss teuer entfernt werden. Aufträge, mit denen Alice und Simon Geld verdient hätten, brechen plötzlich weg. Ein Investor springt ab. Der Druck wird immer größer.

Alice Gedamu (08:06):
Und was ist, wenn uns das Geld ausgeht? Was ist, wenn wir unsere Ziele nicht erreichen?

Simon Lee (08:13):
So wie ich den Bau jetzt wahrnehme, muss ich auch sagen, wir sind nicht on time, wir sind zu spät und haben viele Konflikte, die einfach aufgrund der Tatsache bedingt sind, dass einfach unglaublich viel Druck, viel Zeitdruck, viel Gelddruck im Spiel ist.

Alice Gedamu (08:29):
Was ich über mich gelernt habe, ist, dass Finanzdruck was ist, was mir sehr, sehr schwerfällt. Und da hatte ich einige schlaflose Nächte, in denen ich schweißgebadet aufgewacht bin, weil ich dachte, wir schaffen das nicht.

Simon Lee (08:49):
Also haben wir uns ein bisschen übernommen aus deiner Sicht. Oder die Ziele oder die Vision war ein bisschen zu ehrgeizig für dieses Jahr.

Alice Gedamu (08:59):
Ja, ich glaube, da ist ja viel zusammengekommen.

Berichterstatterin (09:02):
Kurz darauf steigt Alice aus dem Projekt aus. Ist das das Ende der innovativen Idee? Wie kann es weitergehen? Der Boom im Bausektor ist ungebrochen. Damit ist die Branche auch ein Treiber des Klimawandels. Laut UNO-Bericht entstehen fast 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Baubranche. Herbst 2021: Simon hat durchgehalten.
Auch wenn der Familienpapa Kinder und Baustress nur schwer unter einen Hut bringen kann – aufgeben will er nicht. Simon ist weiter Vorstand im Unternehmen und kümmert sich um die Finanzen.

Simon Lee (09:57):
Okay, danke. Ja, thanks. Bye bye, talk later. Ach, ich hatte vor drei Jahren oder so, wo es langsam intensiver wurde, ein Aha-Erlebnis, weil ich war total gestresst von diesen ganzen Themen und habe den Stress auch mit nach Hause genommen und mit dem Coach drüber gesprochen. Und da gab es dann die ganz banale Erkenntnis, dass diese Konflikte ja mein Job sind. Wenn es kein Konfliktpotenzial gibt und alles ist klar und jeder weiß, was er zu tun hat, dann braucht es meine Rolle gar nicht.

Berichterstatterin (10:27):
Der größte Konflikt. Das Projekt dauert länger als geplant und das kostet Geld. Simon hat die Verantwortung gegenüber den Investoren. Vor allem aber will er die Vision von günstigen Mieten umsetzen. Heute ist Baubesprechung.

Simon Lee (10:42):
Alle Kosten, die wir hier produzieren, zahlt am Ende ganz am Ende der Kette doch der Nutzer. Deshalb ist es natürlich super schmerzhaft, wenn wir wissen, wir brauchen drei Monate länger, dann kann man das gleich ausrechnen, was das kostet. Und dann muss man gucken, ob man es dann irgendwie hinschieben kann.

Berichterstatterin (10:57):
Das Team hat sich in neuer Besetzung einen neuen Zeitrahmen gesetzt. Christian Schöningh hat die Rolle des Architekten übernommen. In zwei Monaten soll Richtfest sein.

Christian Schöningh (11:10):
Die absolute Priorität hat der Rohbau und den Beitrag, den wir dafür liefern müssen. Und das sind nunmal die Strohaußenwände. Und da ist, wir hatten ja drei Wochen Vorsprung und die sind einfach weg. Die haben sich innerhalb von drei Wochen auf null reduziert, was ich wirklich sehr bedauerlich finde. Also Motto ist Volldampf bis nächste Woche in der Vorfertigung der Wandelemente inklusive Stroh und Putz. 

Ich arbeite hier in so einer Zwitterstellung, halb Architekt, halb Bauleiter und dann bin ich auch noch Bauherr. Das ist schon ein bisschen Ämterhäufung. Es war in meinen Projekten aber immer so. Also wenn man was anders machen will, kann man eben nicht auf routinierte Strukturen zurückgreifen.

Berichterstatterin (12:05):
Christian hatte die Idee, die zwei Etagen mit Wänden aus Stroh aufzustocken. Eine Bauweise, die zwar zugelassen ist, aber in der Praxis bisher kaum angewendet wird.

Christian Schöningh (12:19):
Es gibt in der Architektur so gut wie keine Forschung und es gibt auch unheimlich wenig Experimente, weil beim Bauen experimentieren, das ist so eine Sache. Also wenn wirklich ein Haus hinterher bei rauskommen soll, dann ist es schon ein ziemliches Risiko.

Berichterstatterin (12:33):
Christian und Simon haben aus ganz Deutschland Mitarbeiter angeworben. Die organisieren sich hier eigenständig. Noch gibt es nur wenige Fachkräfte, die die Stroh-Bauweise beherrschen.

Christian Schöningh (12:48)
Können wir das hier machen?

Alexander Burkhardt oder Dan Hiller!? (12:49):
Was denn?

Christian Schöningh (12:50):
Besprechung.

Alexander Burkhardt oder Dan Hiller!?  (12:51):
Hier jetzt?

Christian Schöningh (12:52):
Hier jetzt, ja. Können wir einmal auf den Plan gucken? Also ich erinnere mich daran, als wir rekapituliert hatten, dass so ein Tagesdurchsatz von vier oder fünf Elementen eigentlich machbar ist. Und wenn es kleine sind, könnte man ja einfach mal als These sagen, ihr schafft fünf am Tag. So, dann sind das drei, fünf, drei, fünf. Das wäre die ganze…

Alexander Burkhardt oder Dan Hiller!?  (13:16):
Ich denke, es werden zwei, drei übrig bleiben.

Christian Schöningh (13:19):
Okay. Der Druck kommt nur wegen des Geldes. Das ist, man kann jedes Problem runterbrechen aufs Thema Geld. Wir haben wirklich mit unserer Holzbestellung haben wir den absoluten Höhepunkt in der Holzbeschaffungskrise erwischt. Wir haben in diesem Bau alleine eine halbe Million mehr ausgeben müssen, weil das Holz so teuer geworden ist.

Berichterstatterin (13:42):
Holz ist auf der Baustelle das wichtigste Material. Daraus entstehen die Rahmen für die Strohwände. Die Strohballenfüllung wird frisch vom Feld angeliefert.

Mitwirkender 2 (13:56):
Okay, bis oben werde ich drücken.

Alexander Burkhardt oder Dan Hiller!?  (13:59):
Ja.

Mitwirkender 2 (14:01):
Okay. Ja.

Alexander Burkhardt oder Dan Hiller!?  (14:04):
Okay.

Berichterstatterin (14:06):
Abschließend wird die Wand verputzt. Wird das Haus mal abgerissen, kommen die Wände einfach auf den Kompost – im Gegensatz zu konventionellen Bauteilen. Juliette Pignol kommt aus Grenoble und hat Umweltmanagement studiert. Sie ist verantwortlich für die Beschaffung von gebrauchten Bauteilen aus Stahl. Hier fehlt ein Geländer.

Juliette Pignol (14:31):
Heute gehen wir zur Mollstraße. Da ist ein Hotel, wo wir wahrscheinlich, hoffentlich viele gebrauchte Bauteile abbauen werden. Das ist einfach krass zu sehen, wie viel Energie und CO es produziert für Bauteile, die dann vier Jahre später einfach im Müll landen. Stahl ist ein sehr schweres Material, was sehr viel CO braucht für die Herstellung. Ich habe jetzt keine Zahl mehr im Kopf, aber das war so ungefähr zweimal Paris – New York mit dem Flugzeug.

Berichterstatterin (15:00):
Tag für Tag fährt Juliette von Baustelle zu Baustelle, immer auf der Suche nach Materialien, die andere wegschmeißen.

Juliette Pignol (15:11):
Wenn ich auf der Baustelle bin, dann bin ich einfach so: Hey, ich möchte gerne den Müll wegnehmen. Manche Leute sind auch sehr vorsichtig, glaube ich, und sie würden auch keine Entscheidungen treffen, weil sie kennen das Thema nicht.

Berichterstatterin (15:26):
In der Nähe vom Alexanderplatz hat Juliette eine spannende Immobilie gefunden. Das alte Hotel soll wahrscheinlich abgerissen werden. Juliette und ihr Team dürfen mitnehmen, was sie gebrauchen können.

Juliette Pignol (15:43):
Hi, Morgen. Hier geht’s rein?
Hier sind diese Briefkästen immer noch, die wir sehr schön finden. Könnten wir auch den Rest verschenken oder so, weißt du, oder woanders einbauen? Also, wie demontiert man das? Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass ich es verstehe.

Christian Schöningh (16:07):
Ich meine, die Frage ist natürlich, Schlüssel wird es nicht mehr geben, ne?
Neue Schlösser und Schlüssel besorgen, ist wahrscheinlich teurer als neue Briefkästen zu kaufen.

Handwerker (16:18):
Die musst du erstmal alle rauskriegen, die Schlösser. Die musst du ausbohren.

Juliette Pignol (16:23):
Okay, ja.

Christian Schöningh (16:26):
Ich bin da eigentlich ziemlich rabiat. Ich bin nicht bereit dafür, Mehrkosten zu tragen, weil wir haben ja auch noch andere Prinzipien und das ist das kostengünstige Bauen und das günstige Vermieten. Und das ist ein Zielkonflikt bei dem zirkulären Bauen oder beim Wiederverwenden von Bauteilen. Du hast den Aufwand, hast es dann hinterher bei dir liegen, musst es dreimal in die Hand nehmen, irgendwo rumräumen. Dabei geht es kaputt, es wird dreckig und hinterher stellt sich heraus, du kannst es nicht gebrauchen.

Juliette Pignol (16:50):
Aber es reicht für die Galerie und die Treppen eventuell. Weißt du?

Hey! Hi, ich bin Juliette.

Amadeus Albrecht (17:00):
Genau, wir haben uns ja nur online gesehen bis jetzt, das ist jetzt schön mal live.

Berichterstatterin (17:05):
Amadeus Albrecht verwaltet die Immobilie.

Juliette Pignol (17:08):
Ich habe eine ganz wichtige Frage für dich. Habt ihr noch die Schlüssel vom Briefkasten oder gar nicht mehr?

Amadeus Albrecht (17:15):
Doch, die müssten noch alle da sein.

Juliette Pignol (17:18):
Yes! Das ist richtig gut. Weil wir haben eben gesagt, wenn wir jetzt alle Zylinder und Schlüssel wechseln müssen, dann lohnt sich das gar nicht mehr für uns. Aber wenn wir jetzt die Schlüssel haben, dann nehmen wir das doch.

Amadeus Albrecht (17:30):
Doch, doch die kriegt ihr.

Juliette Pignol (17:31):
Ach, mega nice! Okay. Ich freue mich für das Projekt, dass es klappt, weil es ein riesiges Gebäude ist. Und ich glaube für mich, also zumindest ich arbeite jetzt seit zwei Jahren, das ist das erste Mal, dass ich so ein großes Gebäude, also dass das sowas passiert. 

Hier ist alles so neu angebaut. Ich vermute, das wurde fast nicht benutzt.

Handwerker (17:53):
Das ist noch nicht lange benutzt. Die Duschwanne hier ist auch noch nicht so alt.

Christian Schöningh (17:57):
Duschwannen können wir nicht gebrauchen.

Berichterstatterin (17:59):
Für jedes Teil müssen Sie einzeln entscheiden, ob sie es weiterverwenden können, auch um die Bauauflagen einzuhalten.

Christian Schöningh (18:07):
Also der Antrieb ist schon, also Forschergeist wahrscheinlich, also einfach Dinge anders machen. Ich finde es langweilig, immer wieder das Gleiche zu machen. Also das Prinzip halte ich schon seit Jahrzehnten durch, immer wieder was Anderes zu machen. Und ich sage mal, unterm Strich sind wahrscheinlich die Experimente oder die für uns entdeckten Innovationen sind wahrscheinlich auf lange Strecke verträglicher für den Planeten. Das ist natürlich auch ein Teil vom Motiv. 

Ja, wir müssen auch ein bisschen drüber nachdenken und dann, wir wissen, wie wir sie erreichen und wir bleiben in Kontakt. Danke. Tschüss.

Amadeus Albrecht:
Tschüss.

Amadeus Albrecht (18:46):
Es gibt noch viele Hindernisse, aber ich denke, das ist die Zukunft trotzdem. Ich denke eher, dass die Politik da was ändern muss und die Bauregeln geändert werden müssen, als dass wir weiterhin so mit den Ressourcen umgehen können.

Berichterstatterin (19:00):
Juliette misst noch einmal alle Bauteile aus, in der Hoffnung, dass sie möglichst viel wiederverwenden kann.

Juliette Pignol (19:11):
Bei mir ist es so, dass ich irgendwie Lust habe, dass es klappt. Ich kann das nicht so wirklich erklären. Das ist halt mein Deal. Ich will, dass wir mindestens ein oder zwei Bauteile daraus nehmen, damit wir das als gute Erfahrung nehmen können. Und natürlich auch für die Ressourcen.

Berichterstatterin (19:33):
Welche Materialien sie nehmen und ob sich das Experiment überhaupt lohnt, wird sich erst in ein paar Wochen herausstellen
Alice hat das Projekt aus der Ferne begleitet. Anderthalb Jahre nach dem Bruch treffen sich die Freunde, um sich noch einmal auszutauschen, was damals passiert ist.

Simon Lee (19:57):
Ja, zeig mal. Oh wow.

Laurence Pagni (übersetzt) (20:00):
Ich hatte einen „Afro“.

Simon Lee (20:05):
Wir hatten diese Woche des Schreckens. Es gab so eine Crunchtime von ein, zwei Wochen, wo nur schlechte Nachrichten auf uns eingeprasselt sind. Der große Auftrag, der schon sicher war, kommt nicht. Finanzierung, die schon sicher war, kommt nicht.

Alice Gedamu (20:22):
Alle drei waren wir sehr unterschiedlich positioniert in dem, was passiert ist. Wir hatten da verschiedene Perspektiven drauf.
Für mich gab es Gefühle von Schuld und Scham und Schmerz und ich weiß, dass für Laurence und Simon von Scheitern, für Laurence und Simon auch noch mal eigene Gefühlsblumensträuße mit dieser Situation einhergingen und zu dem Schluss zu kommen, ich werde es vielleicht nicht langfristig begleiten. Das war ein unglaublich harter Prozess, wo es auch Etappen gab, wo wir kaum miteinander kommunizieren konnten.

Simon Lee (20:58):
Es gab Etappen, da haben wir uns nicht getraut, uns zu dritt zu treffen ohne einen neutralen Coach dabei. Da gab es auch so ne Etappen, was auch schlau war im Nachhinein. Weil wir wussten trotzdem, wir müssen da durch.

Alice Gedamu (21:10):
Wir müssen reden. Weil auch wenn wir gerade nicht in einem Raum sein können und so wie wir jetzt hier stehen mit dieser guten Energie, das war überhaupt nicht so. Es war eher so…

Berichterstatterin (21:23):
Eine Zeit lang ist jeder eigene Wege gegangen, aber die Freundschaft hat gehalten und die Idee lebt weiter.
Es ist Herbst geworden. Die ersten Stürme setzen ein. Ausgerechnet als die Strohwände aufgestellt werden. Alexander Burkhardt und Dan Hiller sind heute die ersten vor Ort.

Alexander Burkhardt (21:46):
Genau die kann dann direkt hier reingestellt werden.

Dan Hiller (21:48):
Also, eigentlich nur die hier weg?

Alexander Burkhardt (21:50):
Oder ne wir lassen die, die lassen wir stehen und die nehmen wir weg.

Dan Hiller (21:53):
Ah, dann nehmen wir die weg, wenn wir die eventuell verbauen sollten. Das ist die eine für da hinten.

Alexander Burkhardt (21:57):
Ja, dann nehmen wir die jetzt direkt hier raus.

Dan Hiller (21:59):
Lass uns die doch rausholen wenn wir sie verbauen. Nichts abgeplant, nichts ist vorbereitet dann.

Mitwirkender 4 (22:20):
Kannst du mir erst mal oben eine Zwinge geben. Kannst du die mal halten?

Mitwirkender 5 (22:23):
Ja, ich halte.

Dan Hiller (22:26):
Wir werden jetzt noch ein paar Stunden am Werken sein, weil die Wände müssen noch irgendwie heute hingestellt werden. Das heißt wahrscheinlich geht es noch bis 20 Uhr. Ist jetzt nicht so dermaßen motivierend. Vor allen Dingen. Herbst. Dunkelheit, Wind, vielleicht ein bisschen Regen. Aber was tut man nicht alles für eine gute Baustelle.

Berichterstatterin (22:42):
Nur noch wenige Wochen bis zum Richtfest. Die Wände und das Stroh müssen vor Regen geschützt werden. Zusätzliche Arbeitsschritte, die Zeit kosten. Für alle werden die Arbeitstage länger. Auch für Simon.

Simon Lee (23:07):
Also wir sind alle wirklich unter Strom. Akku ist nicht bei 100 Prozent. Man kennt es vielleicht bei seinem Telefon, wenn das Telefon älter ist und man lädt es auf, dann ist der ganz schnell wieder, obwohl er geladen ist, wieder bei 10 Prozent. So geht es uns gerade allen. Also wirklich viel Kapazität oder viel Puffer ist einfach nicht mehr da.
Ich glaube, der Grad der Experimentierfreude wird mir erst jetzt im Tun nach und nach bewusst. Und vorher wusste ich das gar nicht. Das war doch klar, dass wir anders bauen. Und ich glaube, für mich persönlich war das mit eine Motivation, ein stinknormales Haus zu bauen. Warum soll ich das tun? Das war nicht auf meiner Agenda. Aber an einem großen Experiment mitzuwirken, mit all den positiven Auswirkungen, die wir uns erhoffen, im Tun zu erreichen. Das ist natürlich mega spannend und auch erfüllend. Man hat ja auch viel Kritik und Gegenwind und davon träumst du doch. Und das ist dann genau der Ansatz, wo man sagt Ja, davon träumen wir. Und so kann man tatsächlich was verändern.

Berichterstatterin (24:05):
Es sind viele junge Männer und Frauen, die auf der Baustelle bis tief in der Nacht arbeiten, trotz Wind und Wetter. Sie motiviert, dass sie hier etwas fürs Klima machen können.

Simon Lee (24:19):
Der Rohbau soll hier stehen in vier Wochen. Normalerweise macht man keine Stroh-Baustelle im November. Das ist am Rande des Wahnsinns fast. Aber die Profis haben sich da viele Gedanken gemacht, ob das geht, wie das ginge und wir probieren das jetzt. Ist ein bisschen Risiko dabei, aber das war uns lieber, als das jetzt alles auf den Frühling zu vertagen. Und im Frühling ist ja auch nicht garantiert, dass kein Regen fällt. Der worst case wäre, dass das alles, auch was schon eingebaut ist, wieder raus muss, weil es dann anfängt zu schimmeln.

Berichterstatterin (24:55):
Der Endspurt. Schritt für Schritt geht es voran. Während das Haus ein neues Dach bekommt, werden im Untergeschoss die ersten Toiletten eingebaut. Alle Sanitärelemente wurden zuvor in einem Abrisshaus ausgebaut. Simeon Bärhold arbeitet schon seit Jahren als Bauhelfer.

Simeon Bärhold (25:36):
Es hat mich doch schon oft aufgeregt, wie einfach damit rumgegangen wurde, dass man immer alles neu kauft. Und eigentlich sehen die ja auch noch sehr gut aus. Also, ich habe die teilweise mit eingebaut und ja, kann man auf jeden Fall noch mal benutzen.
Ich bin länger hier als ich dachte und ich glaube auch, dass es deswegen ist, weil man Teil einer neuen Bewegung ist, die früher oder später gegangen werden muss und lieber früher als später und deswegen fühle ich mich hier eigentlich wohl.

Berichterstatterin (26:08):
Aber lohnt sich der Bau mit gebrauchten Materialien? Juliette konnte in dem alten Hotel neben den Briefkästen auch Heizkörper, Türen und Waschbecken ausbauen. Jetzt vergleicht sie den zusätzlichen Aufwand und die CO-Einsparung miteinander.

Juliette Pignol (26:30):
Die Heizkörper sind relativ schwer. Das ist jetzt auch wahrscheinlich viel CO eingespart bei der Herstellung. Also ich glaube, es lohnt sich jetzt super viel. Es ist alles Material, was eigentlich viel CO produziert.

Berichterstatterin (26:45):
Juliette macht die finale Dokumentation. Für jedes Bauteil berechnet sie den CO-Aufwand. Dann werden die Kosten bei Neukauf den Lohn- und Lagerkosten beim Recycling gegenübergestellt. Und tatsächlich: je mehr gleiche Teile wiederverwendet werden, umso mehr Kosten können gespart werden und das Klima wird geschont.

Juliette Pignol (27:09):
Gleichzeitig können wir auch super interessante Conclusions machen und später bessere Entscheidungen treffen. Wo lohnt sich das? Denn vielleicht für das nächste Projekt werden wir dann doch kein Fassade wiederverwenden, für 30 Prozent CO eingespart und zweimal teurer. Werden wir dann vielleicht uns auf Fenster fokussieren, wo wir jetzt wissen, dass es mega viel CO-Einsparung für Kosten, die auch richtig günstiger werden, wenn man das mehrere Male macht.

Berichterstatterin (27:40):
Davon profitieren auch die Mieter, die wahrscheinlich 2022 einziehen und trotz ökologischer Bauweise billig wohnen können. Die 17 Wohnungen im Obergeschoss sind fast fertig. Der Quadratmeterpreis liegt bei rund zehn Euro und damit unter dem ortsüblichen Niveau. Alice und Laurence kommen noch einmal, um zu sehen, was aus ihren Plänen geworden ist.

Laurence Pagni (übersetzt) (28:04):
Ich hätte nicht gedacht, dass das so hoch ist. Also so wie, einfach viel höher, als ich mir das vorstellen konnte.

Alice Gedamu (28:13):
Ja, sicher.

Laurence Pagni (28:19):
Wow.

Alice Gedamu (28:25):
Schau mal hier, die Treppe. Das wird so Spaß machen, da lang zu laufen.

Laurence Pagni (übersetzt) (28:34)
Super high. Das ist so schön. Das ist unglaublich.
Auch wie viel es braucht, eine Vision und eine Idee umzusetzen.

Alice Gedamu (28:58):
Wir haben irgendwie den Staffelstab in wirklich gute Hände übergeben. Und ich glaube, das erfüllt mich zurzeit echt mit einer sehr tiefen Freude und Ruhe. Und gleichzeitig zu wissen, dass wir da nicht in der Form daran beteiligt sind, wie wir das gedacht haben, macht mich auch ein bisschen traurig. Und ich glaube, das ist auch okay.

Berichterstatterin (29:21)
Für Alice bleibt der Stolz, mit einer innovativen Idee den Grundstein für etwas Neues gelegt zu haben. Bis zum Schluss arbeiten Simon und sein Team. Es ist Anfang Dezember. Das Richtfest kann stattfinden, wenn auch Corona bedingt, nur im kleinen Kreis.

Simon Lee (29:43):
Ich finde, wir haben unser Ziel erreicht und ich kenne wenig, wenn überhaupt vergleichbare Projekte, die in das Risiko gehen, diesen Inhalt auch erreichen zu wollen. Das machen wir wenigstens ganz klein inoffiziell für die Mitarbeiter auf der Baustelle. Ganz spontanes Happening. Einer der Baustelle hat gekocht, netterweise. Ich hoffe, ein paar Leute bringen was zu trinken mit. Dann machen wir einen kleinen Abschluss.

Mitwirkender (30:06):
Also wir waren beschäftigt mit dem Kochen. Wir wissen nicht, wo wir essen.

Simon Lee (30:12):
Und das auch? Ja. Also die nehmen wir mit.
Wow, danke dir. Dann bis gleich. Mal schauen.

Juliette Pignol (30:45):
Ich bin doch nicht dumm.

Berichterstatterin (30:52):
Auf der Baustelle hat sich während vieler Strapazen eine Gruppe gefunden, die zu einem echten Team geworden ist.

Simon Lee (31:00):
Also danke an alle, dass ihr mitgebaut habt. Ich sitze ja immer am Rechner und sage dann, ich baue ein Haus, aber eigentlich baue ich kein Haus. Ich sitze nur am Rechner, die das bauen, das seid ihr und Prost und Danke schön.
Prost! Prost!

Handwerker (31:13):
Ich bin beeindruckt. Ich habe ja auch schon einige Sachen erlebt und…

Simon Lee (31:20):
Bei mir persönlich überwiegt die Realisierung von Erleichterung. Also ich muss ja auch gar nicht groß feiern. Ich kann einfach jetzt ins Bett und schlafen.

Christian Schöningh (31:41)
Wenn man lange genug alles anders gemacht hat, stellt man am Ende fest, dass man es richtig gemacht hat. Und das ist sozusagen eine konstruktive Kritik an dem, was auf dieser Welt falsch läuft.

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