Selbstbestimmt Planen und Bauen
Wohnen mit Kindern am Riedberg, Frankfurt am Main
Das farbenfrohe Haus ist ein gemeinschaftliches Wohnprojekt für zehn Familien und eine Kindertagesstätte (Kita). Die Genossenschaft wurde 2014 von Wohnbund Frankfurt und bb22 architekten + stadtplaner gegründet. Durch die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Architekten, Projektentwicklern und der Hausgemeinschaft ist ein besonderes Haus als Beispiel für zukünftiges Bauen und Wohnen entstanden.
Selbstbestimmt Planen und Bauen

Ein gutes Raumklima braucht mehr als nur gedämmte Fassaden
Schiebeläden sorgen für Sonnenschutz in allen Räumen. Die schmalen Wohnungen mit gegenüberliegenden Fenstern sind hell und lassen sich querlüften. Kurze Laubengänge bilden gemeinschaftlich bepflanzte Terrassen. Zwischen den beiden Baukörpern liegt der schattige Innenhof.
Das Projekt setzt viele Ansätze aus der Forschung des baukonstruktiven Hitzeschutzes um. Einblicke in die Forschung gibt die Hochschule Luzern (HSLU).

«Bereit für den Klimawandel?»
So lautet eine Studie der Hochschule Luzern aus dem Jahr 2020. Erforscht wurden die wichtigsten klimarelevanten Aspekte und Präventionsmaßnahmen in der Architektur. Wichtige Faktoren stellen die Orientierung, Fenster, auskragende Elemente, Oberflächen sowie Verschattungselemente dar.

Interview mit Sandra Köster
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen und Erneuern (HSLU) spricht über vernakuläre Architektur, kühlende Fassaden und wie ein Quartier aus der Sicht des sommerlichen Wärmeschutzes gedacht werden muss, um öffentliche Räume angenehm für Menschen zu gestalten.

Transkription des Interviews mit Sandra Köster, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen und Erneuern am Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur im Gespräch mit Maren Kaiser, FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V.
Maren Kaiser (MK): Lowtech, die Zukunft von Hightech. Baukonstruktiver sommerlicher Wärmeschutz bedeutet, dass die Architektur selbst den Wärmeschutz bildet, anstatt dass ein Gebäude mit hightech Kühlungsverfahren ausgestattet wird. Damit kann der „Rebound Effekt“ konventioneller Kühlungsgebäudetechnik durch einfache, kühlungsoptimierte Methoden wie Gebäudeorientierung, Gebäudeöffnungen, Dachformen, Verschattungselemente und Oberflächen mit ihren positiven Auswirkungen auf das Gebäude- aber auch das Quartiersklima ausgehebelt werden. Sandra Köster, wie muss ein Quartier aus der Sicht des sommerlichen Wärmeschutzes gedacht werden, um öffentliche Räume angenehm für Menschen zu gestalten?
Sandra Köster (SK): Ja, da schauen wir am besten erst mal zu den Ländern aus dem globalen Süden, denn die haben natürlich die größte Erfahrung mit der Hitze über Jahrhunderte hinweg und der beste Aspekt ist eigentlich der Baum, der Baum, der in den meisten Dörfern und Ortschaften auf dem Versammlungsplatz steht und den Dorfkern ziert. Und dann haben wir natürlich die Zwischenräume/ Übergangszonen, die von außerordentlicher Bedeutung sind. Sie fungieren hervorragend als Begegnungszonen. Aber sie sind eben auch sehr gut geeignet für den Wind- und Wetterschutz und für die Zirkulation von kühlender Luft, um die Hitze schnell von dem Platz, von dem Ort, von der Fassade wegzubringen. Das kann durch Abstufung gelingen, also durch Verschattungselemente. Dazu zählen zum Beispiel horizontale und vertikale Verschattungselemente unter anderem der Brise Soleil, der in natürlichen Formen ausgebildet werden, kann wie mit Textil, Holz, Metall. Und was natürlich auch sehr wichtig ist, ist der Ziegel oder der Lehmstein, mit dem traditionell sehr viel gebaut worden ist. Und das Besondere hieran ist, dass er einen großen Speicherungseffekt hat. Das heißt, dass sich die Aufwärmung verzögert, das bringt natürlich auch viel Kühle und die Verzögerung der Aufwärmung mit sich.
MK: Du hattest es ja eben schon angesprochen: Die Fassaden spielen eine große Rolle. Welche Ideen gibt es bereits für kühlende Fassaden, die einen Einfluss sowohl auf das Gebäude als auch auf das Quartiersklima haben?
SK: Ja, da gehen wir jetzt ins Detail. Also es sind häufig die kleinen Elemente, die eine große Rolle spielen. Es sind zum Beispiel bewachsene Sonnensegel, Pergolen im Stadtraum. Bei Spielplätzen macht man das ja häufig schon oder auch beim Wohnen im Alter, dass es verschattete Sitzflächen unter Pergolen gibt. Diese ganzen Stadtraumverschattungen können natürlich auch Dächern genutzt werden. Und dann gibt es den sehr großen Übergang von Stadtraum zu Wohnraum. Das sind die sogenannten halböffentlichen Plätze, und da haben wir sehr viele Möglichkeiten mit halb geöffneten Unterständen, mit Arkaden, mit Laubengängen und horizontalen Auskragungen zu agieren. Was die Fassade angeht: dort gibt es natürlich auch von der Materialität sehr viele Varianten. Da haben wir die klassischen Holzlamellen, die in den Zwischenräumen ermöglichen, die Hitze abzuführen und je nach Fassadenausrichtung sind diese unterschiedlich ausgeführt. Es gibt schmale oder breitere Elemente und auch der Winkel ist natürlich ausschlaggebend, je nach Orientierung. Dann gibt es noch perforierte Lochbleche, die auch optisch und ästhetisch sehr schön sein können. Was mir jetzt an der Stelle noch wichtig ist, ist das, was wir aus den Traditionen anderen Ländern lernen können. Ein Klassiker sind die persischen Architekturelemente Badgir und Makav, welche seit Jahrhunderten als natürliche Lüftung in den Gebäuden verwendet worden sind. Sie funktionieren so, dass aus der Windrichtungsseite kühler Windeintrag in das Haus geholt wird, also die sogenannte Windschaufel, und das zweite Element ist der Auslass, der die Hitze meist entgegengesetzt der Windrichtung ablässt.
MK: Du hattest ja eben auch schon angesprochen. Wer vernakuläre Architektur; was genau bedeutet das?
SK: Ja, das ist ein spannender und wichtiger Aspekt. Historisch gesehen ist vernakulär das Herausbilden von einheimischen, traditionellen Entwicklungen. Und das vernakuläre Bauen bezeichnet die Form, die sich über den Versuch und Irrtum generiert. Das heißt, es werden bauliche Aspekte über die Beobachtung der Topografie des Winds, Schnees, Regens und Schattens über viele Jahrhunderte herausgebildet und das immer lokal, regional, für die Anpassung an vorhandene klimatische Bedingungen. In Kombination mit lokalen Ressourcen wie Baumaterialien, Transportmöglichkeiten, Handwerkskunst und Fertigkeiten, wird das Bauen bestimmt. Und für mich persönlich ist die vernakuläre Architektur das Dynamische, das Prozesshafte, das Lebendige in seinem ganz eigenen natürlichen Tempo – langsam, still und leise.
Schutz gegen Hitze statt gegen Kälte
Bisher spielte ein Kühlkonzept bei Wohnungen kaum eine Rolle; wichtig war das Heizkonzept. Dieser Schwerpunkt verschiebt sich zunehmend, weil die Klimaveränderung vermehrt für heiße Sommer sorgt.
Tagesschau-Sprecher Franz Fischlin: (00:00):
In diesen heißen Tagen laufen sie wie verrückt. Klimaanlagen in Büros oder Läden, Restaurants und auch Wohnungen. Ein Szenario, das auch in Zukunft immer wieder auftreten könnte. Bis ins Jahr 2100 könnte sich das Klima in der Schweiz zwischen 3,2 und 4,8 Grad erwärmen, so eine von mehreren Klimaprognosen des Bundes. Dass diese Erwärmung direkte Auswirkungen auf den Bau von Häusern hat, zeigt eine Studie der Hochschule Luzern. Künftig müssen Häuser gebaut werden, welche gegen Kälte, aber auch gegen Wärme genügend gedämmt sind.
Berichterstatter: (00:36):
Dieses Haus im Luzernischen Nebikon gilt als Rolls-Royce unter den Minergiehäusern. Bestens isoliert mit Erdsonde und Wärmepumpe ist es sehr energieeffizient. Allerdings gegen die drohende Hitze ist es nicht gewappnet. Gemäß Studie erwärmt es sich stark. Auf 26 oder mehr Grad erhitzt hätte es sich 2004 an 82 Stunden. Im Jahre 2100 würden es bei normalem Sommer 340 Stunden, bei heißem Sommer gar über 1000 Stunden sein. Der Bau von Gebäuden muss überdacht werden.
Gianrico Settembrini, Studienleiter, Hochschule Luzern: (01:13):
Bisher haben wir die Gebäude gegen die Kälte im Winter geschützt. Neu müssen wir andenken, wie wir die Gebäude gegen die Hitze im Sommer schützen müssen und wie man diese Gebäude behaglich halten kann, effizient und ohne groß energetischen Aufwand.
Berichterstatter (01:30):
Die Studie erachtet immer größere Fensterflächen als problematisch. Intelligente Beschattungsanlagen seien zwingend.
Gianrico Settembrini (01:38):
Im Weiteren sind zwei große Themen von Bedeutung. Das ist die Lüftung der Gebäude und die Kühlung der Gebäude. Das sind Systeme gefragt, die besonders wenig Energie brauchen.
Berichterstatter (01:49):
Beim Bundesamt für Energie sieht man nach dieser Studie Handlungsbedarf bei Bauvorschriften und Normen.
Andreas Eckmanns, Bundesamt für Energie BFE (01:56):
Die Studie, die betont wirklich noch einmal das Ausmaß. Also gerade bei den Wohnbauten ist ein Sommer wie jetzt mehr Standard als Ausnahme. Und da muss ein Umdenken stattfinden. Das geht von den Vorschriften über die Bau- und Energie-Normen bis hin zum individuellen Benutzerverhalten.
Berichterstatter (02:13):
Statt Heizen heißt es in Zukunft vermehrt effizient kühlen, z. B. mit Wärmepumpen, welche im Sommer die überschüssige Wärme im Erdreich einlagern, damit das Sparziel der Schweizer Energiestrategie 2050 aufgeht.
Lebenswerte Wohn- und Stadträume
Vom Klima als Entwurfsfaktor über das Gestalten lebenswerter Stadträume und das Forschen zu Energie und Behaglichkeit bis hin zur Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Die Vision ist es ressourcenschonender, zukunftsfähiger und bedürfnisgerechter zu bauen und zu erneuern.

